Die Integrationsagentur der AWO Mittelrhein fordert:

Schulcomputer für alle – Anträge und Zugänge einfacher machen!

„Digitaler Unterricht muss für alle Kinder möglich sein und darf nicht am Geldbeutel scheitern.“ Mit dieser Begründung hat das Bundesarbeitsministerium Anfang Februar 2021 die Jobcenter bundesweit angewiesen, mehr Zuschüsse für Schulcomputer zu genehmigen. Ein wichtiger Schritt – doch es braucht mehr, um digitale Chancengerechtigkeit in der Schule herzustellen. Die AWO Mittelrhein e.V. fordert einfachere und schnellere Antragsverfahren sowie angemessene Zuschüsse für alle Schülerinnen und Schüler mit nachgewiesenem Bedarf, unabhängig von Aufenthaltsstatus oder Alter.

Endlich einen eigenen Laptop, ein eigenes Tablet zum Lernen – für viele Schüler*innen aus Familien mit geringem Einkommen ist das auch ein Jahr nach dem Beginn der Schulschließungen in NRW weiterhin ein Traum. Doch nun könnte sich der Wunsch nach mehr digitaler Gerechtigkeit erfüllen, dank mehrerer wegweisender Entscheidungen auf nationaler und kommunaler Ebene.

  • Zum einen hat die Bundesregierung zum 01. Januar 2021 ein Urteil des Bundesverfassungsgerichtes aus dem Jahr 2014 umgesetzt, nachdem eine Anspruchsgrundlage für sogenannte „einmalige Bedarfe“ zu schaffen ist. Digitale Endgeräte gelten als „einmalige unabweisbare Bedarfe“ die zum Jahresbeginn 2021 eingeführt wurden. Auf dieser rechtlichen Grundlage hat das Bundesarbeitsministerium am 1. Februar 2021 die Jobcenter bundesweit angewiesen, Computer plus Zubehör für den digitalen Präsenzunterricht oder das Homeschooling als Mehrbedarf zu bezuschussen. Aktuell bedeutet das: Alle Schüler*innen bis einschließlich 25 Jahre, die von der Schule kein Gerät gestellt bekommen und die Jobcenterleistungen auf Basis von SGB II erhalten, können im Regelfall bis zu 350,00 Euro Zuschuss zum Computerkauf geltend machen – rückwirkend zum 01. Januar 2021. Bereits genehmigte Darlehen werden rückwirkend in Zuschüsse umgewandelt.
  • Zum anderen hat die Stadt Köln im März 2021 angekündigt, dass Schulcomputer nun auch bei Leistungsbezug vom Sozialamt (SGB XII) oder im Rahmen von Jugendhilfe beantragt werden können. Dieses Vorgehen hatte der Bundesarbeitsminister in einem Schreiben an die kommunalen Spitzenverbände empfohlen. Andere Kommunen in Deutschland folgen der Empfehlung ebenfalls, so dass hoffentlich in naher Zukunft mehr Kinder mit Bedarf über ein digitales Endgerät für die Schule verfügen werden.

Die AWO Mittelrhein Integrationsagentur begrüßt diese Entscheidungen. „Wir sehen uns in unserer Arbeit bestätigt“, sagt Michael Sewenig, Leiter der Integrationsagentur der AWO Mittelrhein e.V. in Köln. Im Frühjahr 2020, im Zuge der ersten Covid19-bedingten Schulschließungen, hatte die AWO Mittelrhein e.V. eine Kampagne mit dem Titel Schulcomputer für alle gestartet. Youtube-Info-Videos in vier Sprachen (Deutsch, Englisch, Türkisch und Arabisch) wurden binnen weniger Wochen über zehntausend Mal angeklickt; beim Team der Integrationsagentur gingen in den ersten beiden Monaten rund eintausend E-Mail-Anfragen ein, sowohl von Eltern als auch von Schulen. „Mit Schulcomputer für alle wollten wir zum einen konkrete Informations- und Unterstützungsangebote für Ratsuchende schaffen und zum anderen mit dazu beitragen, dass der politische Druck wächst, so dass auch Schülerinnen und Schüler aus Familien mit wenig Geld vernünftig ausgestattet von zuhause aus am digitalen Unterricht teilnehmen können“, erklärt Michael Sewenig. „Die jüngsten Entscheidungen des Bundes und der Stadt Köln werten wir als Zeichen, dass der politische Druck Wirkung gezeigt hat.“

Die neuen Regelungen seien Schritte in die richtige Richtung, sagt auch Harald Thomé vom Erwerbslosenverein Tacheles e.V. in Wuppertal. Man begrüße, dass längst geltendes Recht nun umgesetzt werde. Von einer bedarfsgerechten Situation sei man aber noch weit entfernt. „Die Zuschüsse zu Schulcomputern müssen immer noch einzeln beantragt werden, wobei die Mitarbeitenden in den Jobcentern zum Teil umfangreiche Kostenvoranschläge verlangen. Das kostet wertvolle Zeit und Energie. Wir hätten uns gewünscht, dass bei Vorlage einer Schulbestätigung der Zuschuss zum Schulcomputer als Pauschale gezahlt wird und die Begünstigten den Kauf durch Belege nachweisen können.“

Ähnlich sieht es auch eine Ehrenamtliche aus Köln, die nicht namentlich genannt werden will. „Ich unterstütze täglich Familien bei der Antragstellung. Mehr Anträge werden mittlerweile genehmigt, das ist eine gute Entwicklung“. Aber es gebe auch immer wieder Absagen mit schwer nachvollziehbaren Begründungen. „Die Hürden sind immer noch zu hoch“.

Die Geschäftsführung der Jobcenter Köln hatte Anfang März öffentlich mitgeteilt, dass ab sofort keine Kostenvoranschläge mehr vorgelegt werden müssten. Einfache Werbeprospekte oder Hinweise auf Angebote im Netz würden reichen. Doch anscheinend ist diese Information noch nicht überall angekommen. „Wir erleben weiterhin, dass Jobcenter und Sachbearbeiter*innen umfangreiche Kostenvoranschläge fordern und dann schwer verständliche Bescheide rausschicken“, berichtet die Ehrenamtliche. „Es ist teilweise immer noch sehr mühsam, anspruchsberechtigten Schülerinnen und Schülern zu ihrem Recht zu verhelfen.“

Eine vereinfachte Antragstellung wäre hilfreich, sagt Michael Sewenig von der AWO Mittelrhein. Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob der vom Bundesarbeitsministerium genannte Höchstbetrag 350,00 Euro ausreichen wird. Die Nachfrage ist hoch und die Preise für digitale Endgeräte sind gestiegen – mit 250 Euro für einen Laptop und 100 Euro für einen Drucker kommen die meisten sicher nicht weit, nicht einmal für ein gebrauchtes Gerät. In Thüringen hat das Landessozialgericht am 8. Januar 2021 einer Schülerin insgesamt 500 Euro zur Verwirklichung des Rechtes auf Bildung und Chancengleichheit zuerkannt (AZ: L 9 AS 862/20 B ER).

Eine offene Frage ist auch, ob der Anspruch auf digitale Ausstattung nur in Zeiten von Distanzunterricht gelten sollte. Bereits vor der Pandemie hatten diverse Gerichte in Deutschland geurteilt, dass Kinder und Jugendliche im SGB II Leistungsbezug Anspruch auf einen Schulcomputer hätten. Die rechtliche Grundlage ist vorhanden – fehlt nur noch der politische Wille zur dauerhaften Umsetzung.

Ein weiterer Kritikpunkt ist, dass Schülerinnen und Schüler über 25 Jahre keinen Schulcomputer erhalten sollen. „Nach unserer Einschätzung ist das rechtlich nicht haltbar“, sagt Harald Thomé von Tacheles e.V.

Redaktion: Martina Sabra, Tel. 0221-846427-05.
E-Mail: presse@awo-mittelrhein.de

Zurück zur Übersicht