Corona belastet den Ausbildungsmarkt

Arbeitslosenreport der Freien Wohlfahrtspflege NRW

Die Zahl der Jugendlichen, die nach der Schule ohne Ausbildungsplatz oder Anschlussqualifizierung dastehen und quasi abtauchen, steigt in der Corona-Krise massiv an. Das weist der aktuelle Arbeitslosenreport der Landesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege NRW (LAG FW) nach. Gleichzeitig sinkt auch die Zahl der gemeldeten Ausbildungsplätze – eine gefährliche Entwicklung. „Wir dürfen in der Corona-Krise die jungen Menschen im Übergang von der Schule in den Beruf nicht übersehen“, warnt der Vorsitzende der Arbeiterwohlfahrt (AWO) Mittelrhein, Michael Mommer.

Die Zahl der Bewerber:innen um einen Ausbildungsplatz ist in der Corona-Pandemie stark zurückgegangen, so die offizielle Statistik der Bundesagentur für Arbeit. 2020/2021 gab es in der Region des AWO BV Mittelrhein 22.224 Bewerber:innen um einen Ausbildungsplatz (2018/2019: 26.327). Ein wichtiger Grund sind die beschränkten Zugangswege zu Berufsberater:innen, Schulsozialarbeiter:innen und Lehrer:innen. Dadurch stehen Schüler:innen in Abgangsklassen in einer für sie ohnehin extrem belastenden Situation ohne Ansprechpartner:innen da. Ihnen fehlen Personen, denen sie vertrauen und die ihnen im direkten Kontakt weiterhelfen können. „Jobcenter und Arbeitsagenturen waren und sind vielerorts schwer erreichbar“, so Michael Mommer.

„Am Ende tauchen dann auch die Jugendlichen ab und melden sich gar nicht erst ausbildungssuchend“, warnt er. Damit junge Menschen nicht schon beim Start ins Berufsleben verlorengehen, müsse die verlässliche Begleitung am Übergang von der Schule in den Beruf durch Lehrer:innen, Schulsozialarbeiter:innen sowie durch die Beratungsfachkräfte der Arbeitsagenturen unbedingt verbindlich und engagiert wieder aufgenommen werden, fordern die Wohlfahrtsverbände.

Michael Mommer stellt fest: „Wirtschaft und Arbeitsmarkt lechzen ja förmlich nach Fachkräften. Also müssen wir den jungen Menschen hinterhergehen, ehe sie verloren gehen: mit aufsuchenden Angeboten, einer Mobilität der Arbeitsagenturen bis in die Sozialräume hinein, mit regelmäßiger Präsenzberatung beispielsweise in offenen Treffs und anderen Einrichtungen der Jugendhilfe. Zudem muss die Elternarbeit bei der Begleitung und Förderung junger Erwachsener mitgedacht und mitfinanziert werden.“

Am Ausbildungsmarkt enorme Passungsprobleme

Industrie und Handwerk müssen nach Auffassung der Wohlfahrtsverbände aber auch für mehr Ausbildungsplätze sorgen. Zwar erhalte rein rechnerisch derzeit fast jede:r Bewerber:in eine Stelle, doch in der Praxis brauche man einen Angebotsüberhang von 12,5 Prozent an Ausbildungsstellen. So gab es 2020/2021 in der Region des AWO BV Mittelrhein 19.793 gemeldete Ausbildungsplätze (2018/2019: 23.343), also im Durchschnitt 0,98 gemeldete Stellen je Bewerber:in. Doch in einzelnen Berufsbereichen ist die Versorgung sehr unterschiedlich.

Der Vorsitzende der AWO Mittelrhein, Michael Mommer: „Wir haben am Ausbildungsmarkt in NRW enorme Passungsprobleme. Neben verstärkten Ausbildungsanstrengungen der Wirtschaft, die wir dringend brauchen, um die Zahl der Ausbildungsplätze insgesamt zu steigern, braucht es mehr Einsatz, um junge Menschen bei der Aufnahme einer Berufsausbildung zu unterstützen. Ausbildungsvorbereitende Maßnahmen, aber auch Angebote des Jugendwohnens und Landesprogramme wie ‚Ausbildungsprogramm NRW‘ oder ‚Matchingberater‘ sind hilfreich. Leider stockt die Landesregierung diese Programme nicht auf, ja lässt sie zum Teil auslaufen. Das halten wir für eine Fehlentscheidung!“

Knapp 1.600 unversorgte Bewerber:innen ohne Alternative

Der Arbeitslosenreport NRW der Wohlfahrtsverbände zeigt auch, dass am Ende des Ausbildungsjahres 2020/21 sehr oft Bewerber:innen ohne Schulabschluss sowie junge Menschen mit Schwerbehinderung oder ausländischer Staatsangehörigkeit zu denjenigen gehören, deren Situation besonders prekär ist. Ohne Ausbildungsplatz, ohne Fördermaßnahme, ohne weiteren Schulbesuch und ohne Arbeitsplatz gelten sie als „unversorgt“. Ihre Zahl liegt nach der Statistik der Bundesagentur in der Region des AWO BV Mittelrhein bei 1.582.

Diese jungen Menschen dürften nicht als „Generation Corona“ ins Abseits geraten. „Um sie zu erreichen, brauchen wir jetzt deutlich mehr aufsuchende Angebote im Sozialraum, auch in neuen und ungewöhnlichen Kooperationen, etwa mit Vereinen, offenen Treffs und anderen Einrichtungen der Jugendhilfe. Gerade ehemalige Förderschüler:innen sollten dabei besondere Aufmerksamkeit finden“, fordert Michael Mommer

Hintergrund:

Die Wohlfahrtsverbände in NRW veröffentlichen mehrmals jährlich den „Arbeitslosenreport NRW“. Basis sind Daten der offiziellen Arbeitsmarktstatistik der Bundesagentur für Arbeit. Hinzu kommen Kennzahlen zu Unterbeschäftigung, Langzeitarbeitslosigkeit und zur Zahl der Personen in Bedarfsgemeinschaften, um längerfristige Entwicklungen sichtbar zu machen. Der Arbeitslosenreport NRW sowie übersichtliche Datenblätter mit regionalen Zahlen können im Internet unter www.arbeitslosenreport-nrw.de heruntergeladen werden. Der Arbeitslosenreport NRW ist ein Kooperationsprojekt der Freien Wohlfahrtspflege NRW mit dem Institut Arbeit und Qualifikation der Universität Duisburg-Essen.

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